Am 1. September 2016 hat Pfarrer Michael Helmert seinen Dienst in der Ev. Kirchengemeinde Unna-Königsborn aufgenommen. Zehn Tage später durfte ich in der Christuskirche seine Einführung während eines Gottesdienstes erleben. Seine erste Predigt drehte sich um das Bibelzitat „Fürchte dich nicht“. Ein Satz, der immer dann zu hören ist, wenn große Veränderungen bevorstehen.
Herr Helmert, haben Sie Ihre Furcht überwunden, Pfarrer in Königsborn geworden zu sein?
(Lacht) Das war leicht! Mir hatten viele Kollegen vorher versichert, dass ich in Königsborn eine spannende und sehr gute Gemeinde vorfinden würde. Das hat sich schnell bestätigt. Ich habe viele unterschiedliche Menschen kennengelernt, von denen jeder was Eigenes mitbringt. Entscheidend ist jedoch, dass sie alle gemeinsam die Gemeinde mittragen.
Ihre Einführung war sehr emotional und vor allem musikalisch. Kommen Sie noch zum Musikmachen? Sie spielen doch Gitarre und E-Bass.
Die Zeit nehme ich mir leider viel zu selten! Das Musizieren ist für mich schon immer sehr wichtig gewesen. Der Gottesdienst zu meiner Einführung in der Christuskirche war musikalisch auch etwas Besonderes. Neben dem Bläserchor traten zum ersten Mal der Paul-Gerhardt-Chor, die Singgemeinde und der Gospel-Chor Sunlight-Voices gemeinsam auf.
Im Oktober jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther an die Tür der Kirche in Wittenberg schlug. Auch er war musikalisch.
Ja, er war ein geübter Sänger und konnte gut Laute spielen: „Die Musik ist eine Gabe und ein Geschenk Gottes; sie vertreibt den Teufel und macht die Menschen fröhlich.“ Er hat ja auch selbst viele Lieder geschrieben, mit denen er auch die Glaubensinhalte neu unter das Volk brachte.
Ihre Wahl durch das Presbyterium hatte ein sehr eindeutiges Ergebnis – 9:1 Stimmen. Das hat Sie sicher auch fröhlich gestimmt. Das können Sie sicher gut gebrauchen, denn die Neuordnung der Pfarrbezirke hat auch viel Unruhe mit sich gebracht.
Natürlich freue ich mich, dass ich so viele Stimmen bekommen habe! Seit vergangenem Herbst hat sich einiges im Pfarrteam verändert. Pfarrerin Susanne Stock und ich sind seit November gemeinsam für die Gesamtgemeinde zuständig. Dabei ist die S-Bahn-Linie westlich der Friedrich-Ebert-Straße und Kamener Straße die Grenze zwischen den beiden Seelsorgebezirken. Östlich geht mein Bezirk sogar noch ein Stück weiter, bis kurz vor die Salzwiese.
Unsere Kirche hat sich immer verändert, um so auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Man muss wissen: unsere Gemeinde ist noch jung. Sie entstand 2011 durch die Vereinigung der ehemaligen Christusgemeinde und der Paul-Gerhardt-Gemeinde. Deshalb haben wir zwei Kirchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die denkmalgeschützte Christuskirche aus dem Jahr 1905 und die moderne Paul-Gerhardt-Kirche aus dem Jahr 1969.
Sicherlich sind die Veränderungen bei vielen Gemeindemitgliedern durchaus mit Ängsten und Verlustgefühlen verbunden. Das kann ich gut verstehen.
Auch für die Zukunft sind Veränderungen absehbar. Was bedeutet das für die „Brücke“?
Unser Gemeindezentrum „Brücke“ feierte in diesen Wochen sein 40-jähriges Bestehen. 1977 wurde das Haus offiziell eröffnet. Hier hat von Anfang an die Kinder- und Jugendarbeit stattgefunden, und schon damals sollte eine Brücke geschlagen werden zwischen der Christengemeinde und der Bürgergesellschaft.
Eine Modernisierung der „Brücke“ ist dringend notwendig, wollen wir unseren diakonischen Auftrag weiterhin erfüllen. Richtig ist aber auch, dass die Gemeinde den Umbau der „Brücke“ nicht alleine stemmen kann. Hier brauchen wir Partner! Einerseits erwägen wir, öffentliche Fördermittel zu beantragen und andererseits Räume auch anderen Nutzern anzubieten, die sich dafür an den laufenden Betriebskosten beteiligen. Das ist ganz in der Tradition der „Brücke“. Neben der diakonischen Arbeit haben sich hier immer schon unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen getroffen.
Was wünschen Sie sich von Ihrer Gemeinde?
Offenheit, Aufbruchsstimmung, Diskussionsfreudigkeit und vor allem ein lebendiges Glaubenszeugnis. Die Kirche hat wie der Staat mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Ich stehe jedoch zur Leitlinie „Menschen haben Vorrang vor Steinen“! Es geht um die Zukunftssicherung durch die Entwicklung guter, tragfähiger Konzepte.
Bei all diesen Verantwortlichkeiten, müssen Sie da nicht mehr Manager sein als Seelsorger?
Man muss beides verbinden. Einerseits versuche ich gemeinsam mit Pfarrerin Susanne Stock und dem Presbyterium, die Gemeinden zu leiten, aber genauso wichtig ist es mir, mit den Leuten auf der Straße zu reden, Taufgespräche zu führen, pastoral tätig zu sein – kurz: die Bodenhaftung zu behalten. Viele wichtige Dinge werden von uns Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen gemeinsam geplant und umgesetzt. Gerade die Ehrenamtlichen haben dabei einen unverstellten Blick, das ist sehr wertvoll.
Als Pfarrer ist die Predigt ein wichtiges Mittel des Dialogs. Sie darf über alles sein, nur nicht über 20 Minuten! Welchen Stellenwert hat für Sie das Predigen?
In diesem etwas lockeren Spruch steckt schon viel Wahrheit. Eine Predigt sollte wirklich nicht zu lange sein, und wahrscheinlich gibt es kaum ein Thema, über das nicht schon von der Kanzel gesprochen worden ist. Die Länge allein darf aber nicht das wichtigste Kriterium sein. Für mich hat sie einen hohen Stellenwert. Eine Predigt sollte deutlich machen: Mein Leben steht im Licht des lebendigen Gottes. Ich verstehe manchen Weg nicht, auf den er mich führt. Aber es ist der Weg, auf den er mich stellt. Und er wird dafür sorgen, dass ich auch die Kraft habe, ihn zu gehen. Um das zu verdeutlichen, kann eine Predigt vielleicht mal länger sein als 20 Minuten.
„Ich sehe keinen Widerspruch zwischen politischem Engagement und Seelsorge! Schon gar nicht in der heutigen Zeit […]“ – Michael Helmert, Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Unna-Königsborn
Kann oder soll eine Predigt provozieren?
Natürlich! Das Evangelium ist doch selbst die größte Provokation. „Selig sind die Leidtragenden.“ Wenn das nicht aus dem Munde Jesu käme, würde man sagen, da redet ein Zyniker. Wenn man es aber als Teil der Botschaft vom Reich Gottes liest, bekommt es einen ganz tiefen, leuchtenden Sinn. Eine Predigt darf die Verhältnisse nicht so nehmen und lassen, wie sie sind. Sie beschreibt eine Gegenwirklichkeit. Mit dem „religiösen Dekorieren“ der herrschenden Verhältnisse wird man der Predigtaufgabe nicht gerecht. Das Evangelium hat auch eine politische Dimension. Es spricht von der NEUEN Welt Gottes.
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen politischem Engagement und Seelsorge! Schon gar nicht in der heutigen Zeit, in der Europa vor dem Problem der Kriegs- und Armutsflüchtlinge steht oder in der in vielen Ländern Freiheitsrechte und demokratische Werte massiv gefährdet sind.
Ein Beispiel: Seit dem 5. Juli sitzen Peter Steudtner und fünf weitere Menschenrechtsaktivisten in der Türkei in Untersuchungshaft. Die Haft basiert auf Anschuldigungen, die augenscheinlich unwahr sind. Peter Steudtner ist Gemeindemitglied der Evangelischen Kirche Prenzlauer Berg in Berlin. Die Gethsemanekirche ist seine Heimat, in der er sich seit Jahren ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagiert. Seine Gemeinde fordert deutsche und europäische Politiker auf, in ihren Bemühungen zur Freilassung der Inhaftierten nicht nachzulassen. Die Gethsemanekirche ist täglich ab 18 Uhr zum Gebet für Peter Steudtner und die anderen Verhafteten geöffnet. Auch wir in Königsborn beten in unseren Gottesdiensten für Journalisten und andere Menschen, die politische Repressalien erleiden müssen. Als Christ bin ich überzeugt, dass Frieden zwischen den Menschen nur durch Dialog und Verständigung, nie aber durch Gewalt erreicht wird. Im Streit um den besseren Weg in die Zukunft gilt Christi Gebot: Liebe deinen Nächsten – und dann streite ruhig mit ihm.
Herr Helmert, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Liberto Balaguer.