Falsche Vorstellungen sind schneller überholt als man denkt. Einfach den ganzen Tag mit Kindern rumspielen und nebenbei die Verwaltungsarbeit erledigen. So dachte ich. Aber schon ein kurzer Rundgang im Familienzentrum vermittelte mir die richtige Vorstellung, was es wirklich heißt, eine Einrichtung zu leiten, die das Wertvollste betreut, was wir haben: unsere Kinder.
Frau Schlüter-Isenbeck, die Leitung einer Kita ist heutzutage alles andere als Kinderkram, oder?
Ja, es gibt immer was im Büro und im Hause zu tun für mich. Eine 39 Stunden Woche könnte man hier locker erhöhen. Die Zeit vergeht wie im Flug. Täglich gibt es neue Herausforderungen, die das Team und ich in Zusammenarbeit meist immer gut meistern. Manchmal gibt es auch Situationen, da kommen wir an unsere fachlichen Grenzen, aber dafür hat die Rasselbande ein gut funktionierendes Netzwerk mit vielen Fachleuten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Darauf greifen wir gerne zurück. Wir sorgen dafür, dass unsere Kinder während Ihrer Kindergartenzeit nach ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen in den verschiedensten Bildungsbereichen ihren Horizont erweitern und somit einen guten Start in ihr Schulleben haben, denn dann beginnt einer neuer wichtiger Lebensabschnitt und der muss für jedes Kind ein positives Erlebnis werden.
Die Kita „Rasselbande“ wurde 1977 eröffnet. Am 19. Mai haben wir 40-jähriges Jubiläum gefeiert. In diesen vier Jahrzehnten hat sich in der Pädagogik viel getan, das ist auch in der Kita „Rasselbande“ zu spüren: Damals gab es Regelgruppen, in denen jeweils kleine verschiedene „Ecken“ zu finden waren. Heute können die Kinder in verschiedenen Spielbereichen wie einem Bewegungs-, einem Werk- oder Computerraum und auch in einem großen Bällebad ihre Fähigkeiten stärken und erweitern. Seit 2009 ist die „Rasselbande“ ein zertifiziertes Familienzentrum. Aktuell wurde die Rasselbande für weitere vier Jahre re-zertifiziert.
Sie leiten das Familienzentrum seit Anfang April, aber die „Rasselbande“ kennen Sie schon länger.
Ja, ich bin schon seit Januar 2011 im Familienzentrum als Erzieherin tätig und kenne Kinder, Eltern und Unna-Königsborn recht gut. Unser Einzugsgebiet ist gekennzeichnet durch große Wohnblöcke. Eine Apotheke sowie einige Einzelhandelsgeschäfte liegen in direkter Nähe. In direkter Nachbarschaft befindet sich das Ev. Gemeindezentrum „Die Brücke“. Der Kurpark mit seinen vielen Spiel- und Wiesenflächen ist zu Fuß nur fünf Minuten entfernt.
„Ich habe in der Rasselbande mein zweites Zuhause gefunden und möchte hier aus diesem Umfeld nicht mehr weg.“– Nicole Schlüter-Isenbeck
Ich selbst komme aus einem kleinen Dorf und wohne am Rand, umgeben von vielen Feldern. Ich genieße manchmal nach Feierabend den Blick auf den benachbarten Spielplatz, auf dem Kinder aller Nationen zusammen spielen, toben und sich auch manchmal balgen. Wo gibt es noch so ein Aufkommen von Kindern und Jugendlichen, die meist friedlich zusammen Fußball etc. spielen? Ich wohne gerne auf dem Dorf, aber das Arbeiten hier in Königsborn möchte ich nicht mehr missen.
Als Erzieherin kann man bei der AWO Kita Rasselbande mehr lernen als in vier Jahren Ausbildung – ein Arbeitgeber mit viel Engagement und Herz. Ich habe in der Rasselbande mein zweites Zuhause gefunden und möchte hier aus diesem Umfeld nicht mehr weg.
Wie viele Kinder betreuen Sie?
In unserer Kita leben und lernen in fünf Gruppen 103 Kinder zwischen vier Monaten und sechs Jahren. Unser Team hat aktuell 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichen Qualifikationen in Voll- und Teilzeit. Als PlusKita und Sprachkita verfügen wir über zusätzliche personelle Ressourcen. Seit 2010 betreuen wir Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Integrative und inklusive Pädagogik sind in den letzten Jahren zu einem weiteren Schwerpunkt unserer täglichen Arbeit geworden. Insgesamt sind wir bis zu 45 Stunden pro Woche für unsere Kinder da. Ergänzend bieten wir als Familienzentrum Begleitung und Unterstützung für das Leben als Familie in vier grundlegenden Bereichen an: Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien, Familienbildung und Erziehungspartnerschaft, Kindertagespflege und Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Wie kann Ihr pädagogischer Ansatz beschrieben werden?
Wir möchten den Kindern so viele Handlungsspielräume und Erfahrungsmöglichkeiten wie möglich bieten. Sie sollen altersgemäße Anregungen erhalten und sich bei uns wie Zuhause fühlen. Aus diesem Grund arbeiten wir teiloffen und situationsorientiert, das heißt: Allen Kindern steht die ganze Einrichtung zum Spielen, Erleben, Lernen, Musizieren und Experimentieren zur Verfügung. Durch Partizipation entscheiden unsere Kinder mit und haben es selbst in der Hand, wie die Arbeit in unserer Kita organisiert, geplant und durchgeführt wird. Motivierte und interessierte strahlende Kinder lassen uns den alltäglichen Kita Stress schnell vergessen und geben uns Kraft für weitere Herausforderungen. Regeln und Grenzen werden gemeinsam gesetzt und im Lauf der Zeit auch immer mal wieder reflektiert und verändert. Durch unseren pädagogischen Ansatz verändern wir uns stetig und erweitern unsere Fähigkeiten. Dadurch ist die Rasselbande im Laufe der letzten Jahre zu einer fachlich qualitativ hochwertigen Kindertageseinrichtung geworden. Durch unser Qualitätsmanagement (QM) sind wir sehr gut strukturiert. Es erleichtert uns die tägliche Arbeit. Das QM gibt Sicherheit für Mitarbeiter und Kunden.
In der Wissenschaft gerät das Thema „Bindung“ zunehmend in den Fokus.
Welche Relevanz hat „Bindung“ für Ihre tägliche Arbeit?
Bindung ist emotionale Nahrung, die uns am Leben hält. Sie ist gleichberechtigt mit lebenswichtigen Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Schlaf, Luft oder Bewegung. Eine gute und verlässliche Beziehung zu Kindern aufzubauen, ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben, sie am Geschehen zu beteiligen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen, sind Grundlagen unserer Arbeit. Nur so kann „Lernen“ gelingen. Alle Kinder sollen sich mit ihrer ganzen Person und auch mit ihrem kulturellen Hintergrund angenommen fühlen. Ohne emotionale Sicherheit kann kein Lernen stattfinden. Unser Ziel ist nicht das „Erschaffen“ von 103 gleichen Kindern, die alle Dinge gleich gut können. Sondern wir fördern jedes einzelne Kind mit seinen unterschiedlichen Talenten. Im Vordergrund steht die Stärkung jedes Einzelnen. Nur selbstbewusste Menschen sind auch fähig, eigene Wege zu gehen!
In Unna-Königsborn leben viele Migrantenfamilien. Warum ist es wichtig, dass ihre Kinder eine Kita besuchen?
Bei uns sind Familien aller Nationalitäten willkommen. Zurzeit besuchen unsere Einrichtung Kinder aus 14 verschiedenen Nationen. Für diese ist es genauso wichtig unsere Kita zu besuchen, wie für deutsche Kinder: Wir fördern gezielt viele Aspekte der Entwicklung, etwa soziales Verhalten. Auch Sprachförderung ist ein Thema für alle Kinder – deutsche wie ausländische. Für die Kinder mit Migrationshintergrund ist die Kita zusätzlich eine Chance, mehr Deutsch zu hören, zu sprechen und auch andere Verhaltensweisen kennen zu lernen.
Sollte nicht Deutsch die verbindliche Sprache sein?
Mehrsprachig aufzuwachsen ist ein Gewinn und kein Problem. Von einer Zwangssprache in der Kita halte ich nicht viel, weil sie den Kindern den Eindruck vermittelt, dass das, was sie Zuhause sprechen und hören, eigentlich verboten ist. Kitas müssen an der Lebenswelt der Kinder anknüpfen und pfleglich mit der Mehrsprachigkeit umgehen. Man muss für die Kinder Anreize schaffen, Deutsch als gemeinsame Sprache zu sprechen, die alle verstehen. Aber man sollte es ihnen nicht verbieten, mit anderen Kindern in ihrer Herkunftssprache zu sprechen. Wir integrieren die natürliche Mehrsprachigkeit der Kinder spielerisch und selbstverständlich in den Kita-Alltag. So wird sie zur Bereicherung für alle Kinder.
Frau Schlüter-Isenbeck, danke für das Gespräch!
Das Interview führte Liberto Balaguer.