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Grüne Oasen – Gärtnern in der Stadt

Urbanes Gärtnern ist nicht nur eine Modeerscheinung der letzten Jahre, sondern ein gesellschaftliches Phänomen mit langer Tradition.

Beim Blick aus dem Fenster ist es kaum zu glauben, doch wer ernten will, muss bald aussäen. Das wissen auch die rund fünf Millionen Menschen, die in Deutschland in kleinen Gärten aktiv sind. Viele sind in Vereinen organisiert und sozial eingebunden: Als einer der führenden Kleingartenverbände stellt der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde in 2012 fest, dass in ihm mehr als 15.000 Kleingärtnervereine in 19 Landesverbänden auf einer Fläche von mehr als 46.000 Hektar organisiert sind. Damit haben Kleingärten in vielen Städten eine erhebliche Flächenbedeutung. Deutschland ist das Land und die Wiege der Kleingärtner.

KLEINGARTEN-HOCHBURG NRW

Kleingärten – in NRW mit rund 1.600 Anlagen zahlreich vertreten – sind wohl die traditionellste Form des städtischen Gärtnerns. Viele Gartennutzer pflegen ihren Garten ein- bis mehrmals pro Woche, für manche zählt der Besuch im Garten sogar zur Tagesroutine. Experten schätzen, dass in Deutschland jeden Tag über eine Million Menschen in ihren Kleingärten aktiv sind. Die Gärten bilden dabei Orte des Natur- und Umwelterlebens, des gesellschaftlichen Miteinanders. Der Fokus liegt meist allerdings auf der Pflege und Gestaltung der eigenen, privat gepachteten Parzelle – die Schaffung einer eigenen grünen Oase, in der man auch einfach mal entspannen kann.

KEINE MODEERSCHEINUNG

Besonders in Ballungsgebieten wie Berlin oder dem Ruhrgebiet wird deutlich: Gärten gehören heute zur Stadt wie Häuser und Straßen. Doch sie sind keine Erscheinung der neueren Zeit. Oliven, Wein und Gemüse wuchsen bereits bei den Römern in ihren „Peristylgärten“.

Die neuen Formen urbaner Gärten und Landwirtschaft der letzten 20 Jahre stellen einen Bruch dar: Hier gärtnern die Städterinnen – es sind meist Frauen – nicht jede für sich, in einzelnen Parzellen, sondern gemeinschaftlich. Die Gärten symbolisieren nicht die Flucht in ein wohnortnahes Paradies, das sich von der hektischen Stadt abgrenzt. Sie zeugen vielmehr von einem geänderten Verständnis von Stadt, von globalen Zusammenhängen sowie der Auflösung des Stadt-Land-Gegensatzes. Gleichzeitig manifestiert sich hier die Forderung nach einer lebenswerteren Stadt und dem Selbstbewusstsein, Entwicklungen im eigenen Stadtteil mitzugestalten.

VIELFALT DER URBANEN GÄRTEN

Mittlerweile haben sich eine Vielzahl verschiedener Gartenprojekte entwickelt. Beispielhaft zu nennen sind: Themengärten, Generationengärten oder interkulturelle Gärten. Ihr Grundprinzip ist bei all diesen Gemeinschaftsgärten gleich – sie sind weitgehend öffentlich zugänglich. Jeder, der Interesse hat, kann sich einbringen, mitgärtnern und mitgestalten. Selbermachen und Selbstgestalten steht an oberster Stelle. So kann jeder seine eigenen Ideen, Bedürfnisse und Wünsche einbringen. Häufig handelt es sich um städtische Flächen, die gerade nicht oder wenig genutzt werden. Je nach Beschaffenheit des Bodens wird direkt im Boden gepflanzt oder es werden Hochbeete und andere Pflanzbehältnisse genutzt. Da wird auch schon die eine oder andere Euro-Palette clever umgenutzt.

Der Stadtteil oder das Quartier erhält durch das Engagement der Bewohner einen einzigartigen Ort, der viel Kreativität und Improvisation zulässt. Damit tragen die Gartenprojekte mit ihren Freiflächen nicht nur zu einem guten Mikroklima in den Stadtteilen bei, sondern beleben auch die sozialen Beziehungen unter den Bewohnern: Der Garten bietet Freiraum für nachbarschaftliche und neue Begegnungen.

Nicht selten treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und sozialen Schichten aufeinander, um gemeinsam zu gärtnern. Diese Vielfalt inspiriert Jung und Alt. So finden verschiedene Generationen zusammen, indem sie ihre gemeinsamen Interessen entdecken. Kinder und Jugendliche lernen, Verantwortung für ihr Beet zu übernehmen. Sie erlangen Kenntnisse wie zum Beispiel über die Artenvielfalt oder den Anbau von Gemüse. In einer Zeit, in der viele Kinder nicht wissen, woher Lebensmittel überhaupt kommen, sind das wichtige Lernerfahrungen.

GÄRTNERN AUS TRADITION

Die Selbstversorgung mit gesunden und geschmackvollen Produkten ist für viele der „neuen Gärtner“ eine starke Motivation, aktiv zu werden. Wenn Frau Bauer aus der Kieler Straße an ihren alten Garten denkt, gerät sie ins Schwärmen: „Früher, in Russland, hatten wir einen riesig großen Garten. Dort haben meine ganze Familie und ich den größten Teil unseres Gemüses und Kartoffeln selbst angebaut.“ Heute in Königsborn bedauert sie, keinen eigenen Garten mehr zu haben. Auch wenn sie gerne im Quartier lebt, vermisst sie den großen Garten aus ihrer alten Heimat und das Gärtnern.

Betritt man ihren Balkon in der 4. Etage des Wohnblocks, fängt die zierliche und etwas schüchtern wirkende Frau an, leidenschaftlich von ihren Anbau-Experimenten zu erzählen. In dem blauen Blumenkasten an der Balkonbrüstung zum Beispiel hat sie verschiedene Kräuter – Petersilie, Schnittlauch und Rosmarin. Auch einige Gemüsesorten hat sie in den letzten Jahren gezüchtet. Davon zeugen die zahlreichen „Beweisfotos“ von groß gewachsenen Tomatensträuchern auf ihrem Handy, die sie gerne und mit viel Stolz zeigt. „Ich habe viel Glück mit meiner Wohnung, der Balkon geht nach Süden raus“, sagt sie. „Einiges wächst und gedeiht hier ganz prima. Für manche Pflanzen ist aber zu viel Sonne eher schädlich“. Kleine Erdbeeren hatte sie letzten Sommer, aber am eigenen, kleinen Zitronenbaum sei sie bisher gescheitert. Auf die Frage, ob sie es bei all ihrem Elan denn schon einmal bei einem Kleingartenverein versucht hat, antwortet sie ganz nüchtern: „Warteliste!“.

Tatsächlich ist eine Mitgliedschaft in einem Kleingartenverein für viele Gartenfreunde aufgrund langer Wartelisten erst einmal keine Alternative. Einen wahren Ansturm erleben die Kleingartenvereine in den letzten Jahren. Viele junge Familien – in Königsborn zum Beispiel auch mit polnischen, russischen und türkischen Wurzeln – zählen zu den neuen Mitgliedern. Die Parzellen sind sehr beliebt, die Wartelisten deshalb häufig lang. Das soll Interessierte jedoch nicht abschrecken. Beim Kleingartenverein Königsborn e.V. nahe der Salzwiese verrät ein Mitglied im Gartenzaungespräch: „Mit ein bisschen Glück wird dann wieder schnell eine Parzelle frei. Das kann alles sehr schnell gehen. Und wir freuen uns über den Zuwachs.“

BEFRAGUNG ZEIGT REGES INTERESSE

Der Trend der Selbstversorgung zieht sich quer durch die Gesellschaft. Immer mehr Menschen in den Städten, jung und alt, bauen ihr eigenes Obst und Gemüse selbst an. In Königsborn findet der Trend scheinbar auch immer mehr Anhänger, und das besonders bei Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen – so wie Frau Bauer.

Bei einer Befragung des „Quartiersbüros Königsborn Süd-Ost“ gaben rund 80 % der befragten Bewohner an, Interesse an frischem Gemüse, knackigem Obst und duftenden Kräutern aus eigenem Anbau zu haben. Rund 70 % der Befragten sagten zudem, sie hätten Lust an einem Gartenprojekt und würden an diesem gerne teilnehmen. Möglicherweise kann dieses Interesse ja die Grundlage für das erste Gemeinschaftsgarten-Projekt in Königsborn sein? Eins ist gewiss: Das Quartiersbüro hält alle Interessierten stets auf dem Laufenden!